Geschädigter bekommt 180.000 Euro Schmerzensgeld für grobe Fehler bei Bandscheiben-OP

Behandlungsfehler: mangelhafte Operation an Bandscheibe

Wie konnte es zu den schweren Behandlungsfehlern im Zusammenhang mit der Bandscheiben-OP kommen? Erfahren Sie hier mehr, welche Fehler der Orthopäde gemacht hat und welche Folgen bei dem Geschädigten nach der Wirbelsäulen-OP eingetreten sind. Wir zeigen auf, was die maßgeblichen Behandlungsfehler des Orthopäden waren und weshalb das OLG Koblenz (Urteil vom 29.10.2009, Az.: 5 U 55/09) ihn zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 180.000 Euro verurteilt hat.

Heute ist der geschädigte Patient gelähmt und leidet an schwerwiegenden Beeinträchtigungen. Ein sog. Dauerschaden.

Mehr über Behandlungsfehler und Haftung des Orthopäden erfahren Sie hier.

Was ist im Vorfeld der Behandlungsfehler bei der Bandscheiben-OP vorgefallen?

Der damals 56-Jährige stellte sich erstmals aufgrund von Gefühlsstörungen und motorischen Ausfällen in den Beinen beim Orthopäden vor.

Dieser hat eine Computertomographie (CT) veranlasst, um die Ursache abzuklären. Durch ein CT wird innerhalb von wenigen Minuten mit Hilfe von Röntgenstrahlen und Computern ein detailliertes Bild von Organen und Körperbestandteilen hergestellt. Die CT-Untersuchung zeigte Bandscheibenschäden in den Bereichen L 3-4, sowie L 4-5.

Zu beachten ist allerdings, dass es verschiedene Arten von Bandscheibenschäden gibt. Bei dem hier beschriebenen Sachverhalt handelt es sich einmal um einen Massenprolaps und eine Protrusion.

Gut zu wissen: Bei einer Protrusion der Bandscheibe handelt es sich umgangssprachlich um eine Bandscheibenvorwölbung.

Gut zu wissen: Von einem Massenprolaps spricht man umgangssprachlich dann, wenn der Bandscheibenvorfall so extrem ist, dass es kaum Platz im Wirbelkanal für die Nervenwurzeln gibt.

Der Geschädigte hat zunächst Schmerzmittel verschrieben bekommen, wobei diese Therapie nicht zu dem gewünschten Erfolg geführt hat. Dem Orthopäden waren mehrere Behandlungsfehler bei der Bandscheiben-OP unterlaufen.

OP-Fehler: unzureichende Ausräumung des Bandscheibenvorfalls

Keine zwei Wochen später hat der Arzt eine Operation an der Wirbelsäule gemacht. Während dieses Eingriffs wurden die Bandscheibenvorfälle allerdings nur unzureichend ausgeräumt.

Ärztepfusch: Duraverletzung

Darüber hinaus kam es zu einer Verletzung der Dura.

Gut zu wissen: Die Dura ist die äußerste Schicht, welche im gesamten Bereich der Wirbelsäule das Rückenmark ummantelt.

Hierbei wurde die Dura an mehr als drei Stellen verletzt, wobei sich die Verletzungen über mindestens 3 cmerstrecken.

Folgen der Behandlungsfehler bei der Bandscheiben-OP

Im Anschluss an die Operation konnte man keine gesundheitliche Besserung des geschädigten Mannes feststellen.

Schon einen Tag später klagte der Geschädigte über eine Reithosenästhesie, mit Verdacht auf ein Kaudasyndrom. Hierbei handelte es sich um einen Verlust des Empfindungsvermögens der Genitalien und in der Gesäßregion, sowie der Oberschenkelinnenseite.

Aufgrund dieser gesundheitlichen Verschlechterung wurde ein weiteres CT durchgeführt. Dieses zeigte, dass ein deutlicher Bandscheibenvorfall im Bereich L 3-4 vorliegt.

Der Kläger wurde daraufhin zwei weitere Tage später in eine neurochirurgische Universitätsklinik verlegt, wo man eine Revisionsoperation durchgeführt hat.

Welche Behandlungsfehler lagen der Behandlung der Wirbelsäule zugrunde?

Der oben geschilderte Sachverhalt kann in drei Abschnitte unterteilt werden.

  1. Die Phase zwischen dem 06.01 und der Bandscheibenoperation vom 15.01 (Konservative Therapie)
  2. Die fehlerhafte Durchführung des chirurgischen Eingriffs
  3. Die Zeitspanne bis zur Verlegung des Geschädigten in die Universitätsklinik

Erster Ärztefehler: Unterlassene OP trotz Ausfallerscheinungen

Bereits die konservative Therapie mit Schmerzmitteln, die nach dem CT begonnen wurde, ist bei Schmerzen und motorischen Störungen fehlerhaft.

Der vom Gericht beauftragte Sachverständige stellte fest, dass bereits nach Aufkommen sensibler und motorischer Ausfälle und dem vorliegenden CT-Befund eine Operation hätte stattfinden müssen. Die erst neun Tage später erfolgte Operation kam deutlich zu spät und hätte schnellstmöglich nach der ersten Vorstellung des Geschädigten durchgeführt werden müssen. Ein klarer Behandlungsfehler bei der Bandscheiben-OP.

Der Sachverständige führte weiter aus, dass es im Zeitraum von neun Tagen keine gesundheitliche Besserung gab, die neurologischen Störungen fortbestanden und die Therapie mit Schmerzmitteln ohne jegliche Wirkung geblieben ist.

Auch wenn der Patient ausdrücklich nach einer konservativen Therapie gefragt hätte, hätte der behandelnde Arzt auf die Dringlichkeit und Notwendigkeit der Operation hinweisen müssen.

Es ist absolut nicht nachvollziehbar, weshalb nicht bereits bei der ersten Vorstellung eine Operation empfohlen wurde, um mögliche irreversible Schäden zu vermeiden.

Zweiter Arztfehler: Mangelhafte OP an der Wirbelsäule

Unabhängig von dem oben beschriebenen Fehlverhalten, ist der Eingriff an sich mangelhaft und fehlerhaft durchgeführt worden. Mithilfe der Befundaufnahme, welche für die Revisionsoperation durchgeführt wurde, kann nachvollziehbar dargestellt werden, dass es zu mehreren Fehlern während der Operation kam.

  • Zum einen wurden die Bandscheibenverletzungen nicht regelrecht ausgeräumt und
  • zum anderen wurde die Dura an mehreren Stellen verletzt. Diese Verletzungen erstrecken sich auf einer Strecke von mindestens 3 cm.

Aufgrund dieser sehr deutlichen Fehler kam der Sachverständige zu dem Entschluss, dass der Beklagte das Ziel der Operation im Ganzen verfehlt hat.

Die Nichtentfernung der eingedrungenen Bandscheiben-Teilchen aus dem Spinalkanal ist als grob fehlerhaft zu werten.

Dazu kommt, dass die Bandscheibenverletzung an L 3-4 „nicht ansatzweise behandelt wurde“, laut dem Sachverständigen.

Dies ist aus ärztlicher Sicht absolut nicht nachvollziehbar und grob fehlerhaft. Ein vermeidbarer Behandlungsfehler bei der Bandscheiben-OP.

Dritter Behandlungsfehler: Unterlassene Abklärung des Kaudasyndroms

Auch nach der Operation verbesserte sich die gesundheitliche Lage des Geschädigten nicht.

Schon kurz darauf kam es zu ersten Anzeichen auf ein Kaudasyndrom.

Gut zu wissen: Kaudasyndrom tritt auf, wenn sich ein Nervenbündel am Rückenmark zusammendrückt.

Dazu wird im Krankenhaus in der Patientenakte handschriftlich notiert, dass es zu einem zunehmenden Taubheitsgefühl in der Genitalregion sowie in den Beinen und Füßen des Geschädigten kam.

Bereits zu diesem Zeitpunkt hätte gehandelt werden müssen. Da es sich bei Nervenverletzungen immer auch um irreversible Schäden handeln kann, muss schnellstmöglich gehandelt werden.

Auch dies ist laut dem Sachverständigen nicht passiert und unverständlich.

Zusammengefasst ist das oben beschriebene Verhalten in mehreren Aspekten grob fehlerhaft und verstößt gegen den medizinischen Standard.

Welche Folgen hatten die Behandlungsfehler an der Wirbelsäule?

Das fehlerhafte und zu späte Vorgehen des Orthopäden hat mehrere negative Auswirkungen für den geschädigten Mann. Der Patient ist sowohl physisch als auch psychisch enorm beeinträchtigt und geschädigt:

  • der Mann leidet an weitreichenden Lähmungserscheinungen, die sowohl die Füße, seine Blase und den Mastdarm erfassen; er ist dadurch auf das Benutzen einer Gehhilfe angewiesen,
  • darüber hinaus hat er keine Kontrolle mehr über seine Blase und muss mit einem Alter von 56 Jahren mit Inkontinenz leben,
  • Infolge der Behandlungsfehler sind seine Sehnenreflexe gestört,
  • er ist auf Gehhilfen angewiesen; die ständige Benutzung der Gehhilfen hat wiederum zu einer Arthrose in den Händen geführt,
  • außerdem leidet der Mann an extremen Sensibilitätsschwächen.

Neben seinen zahlreichen physischen Beeinträchtigungen ist der Mann ebenfalls psychisch enorm geschädigt:

  • seit dem Vorfall leidet der 56-Jährige unter Sexualstörungen; deshalb schämt er sich und muss immer wieder Rückschläge im Privatleben hinnehmen,
  • der Geschädigte hat infolge des Vorfalls Depressionen entwickelt und ist somit oft antriebslos, müde und verspürt immer wieder keinen Lebenssinn.

Sind 180.000 € ein angemessener Ausgleich für eine irreversible Nervverletzung an der Wirbelsäule?

Das OLG Koblenz sprach dem Geschädigten 180.000 € Schmerzensgeld zu.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes werden verschiedene Aspekte berücksichtigt, wie beispielsweise das Alter des Geschädigten und die Schwere der Schäden sowie vergleichbare Entscheidungen anderer Gerichte.

Gut zu wissen: Schmerzensgeld hat im deutschen Rechtssystem zwei Funktionen. Zum einen soll es dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für den Schaden bieten (Ausgleichsfunktion) und zum anderen soll der Schädiger für sein Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden (Genugtuungsfunktion).

Im vorliegenden Fall müssen die psychischen und physischen Langzeitschäden berücksichtigt werden. Der Geschädigte wurde mit einem Alter von 56 Jahren aus seinem Leben gerissen. Er ist seit dem Vorfall ständig auf Gehhilfen angewiesen und kann keine langen Strecken zurücklegen. Er kann seit den Behandlungsfehler bei der Wirbelsäulenoperation nicht mehr joggen gehen, kein Fahrrad mehr fahren oder mit seinen Kindern spielen. Auch durch die Lähmung im Bereich der Blase ist der Geschädigte stark beeinträchtigt. Lange Autofahrten oder Ausflüge sind nur mit Hilfsmitteln möglich.

Dazu kommt, dass er durch seine Depressionen oftmals nichts unternehmen möchte und am liebsten zu Hause bleibt, um sich diesen ganzen Herausforderungen nicht stellen zu müssen.

Der Geschädigte geht äußerst ungern zu sozialen Events, da er sich in Menschenmengen nicht mehr wohl fühlt und es durch seine Sexualstörung oft zu (für ihn) unangenehmen Momenten kommt.

Fazit

Betrachtet man all die genannten Punkte und die Funktion des Schmerzensgeldes sowie bei Vergleich mit anderen gerichtlichen Entscheidungen, ist eine Entschädigung von 180.000 € jedenfalls keine symbolische Summe, auch wenn dieser Betrag dem Mann seine Beschwerden nicht nehmen kann.

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Christoph Mühl
Christoph MühlFachanwalt für Medizinrecht
Rechtsanwalt Christoph Mühl ist Patientenanwalt und hilft seit 15 Jahren Opfern von ärztlichen Behandlungsfehlern, einen angemessenen Schadenersatz und Schmerzensgeld für Verletzungen zu erhalten, die bei Operationen und ärztlichen Behandlungen aufgetreten sind.
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