30.000 Euro Schmerzensgeld für gebrochene Beine
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Medizinrecht: 30.000 Euro Schmerzensgeld für gebrochene Beine wegen Fehler des Physiotherapeuten
Wie konnte es zu einem doppelten Beinbruch überhaupt kommen? Diese Frage klären wir auf und zeigen Ihnen, weswegen die Physiotherapie-Praxis dem geschädigten Patienten ein beträchtliches Schmerzensgeld bezahlen musste.
Wie ist es zu den Frakturen gekommen?
Als der Mandant wie gewöhnlich zur Physiotherapie ging, um dort behandelt zu werden, kam es zu dem Vorfall. Hierzu müssen Sie wissen, dass der Patient an einem sogenannten Kipptisch Übungen machen sollte. Dazu wird der Patient am Oberkörper und im Bereich der Beine mit einem Gurt fixiert, damit er bei den Übungen nicht herausfallen und sich verletzen kann. Während seiner Übungen auf diesem Kipptisch löste sich jedoch der Gurt am Oberkörper. Da der Patient aber weiterhin mit seinen Beinen fixiert war, kippte sein Oberkörper mit dem vollen Körpergewicht nach vorne. Diese unvermittelte Belastung war zu viel für die beiden Beine, welche sich unmittelbar nach Verlagerung des Gewichts verdreht haben und gebrochen sind (sogenannte Torsionsfraktur oder Drehfraktur).
Ganz offensichtlich haben die Physiotherapeuten die Gurte nicht ordnungsgemäß angebracht und diese nicht überprüft, so dass sie sich lösen konnten. Zudem waren die behandelnden Therapeuten mehrere Meter vom Mandanten entfernt, so dass sie auch nicht rechtzeitig eingreifen konnten.
Der geschädigte Patient erlitt beiderseitige Ober- und Unterschenkelbrüche, die in zwei stundenlangen Operationen behandelt werden mussten.
Gut zu wissen: Bei einem Kipptisch kann die Liegefläche stufenlos aufgerichtet, beziehungsweise in die Horizontale gebracht werden, sodass der Patient dann in der Standposition Übungen durchführen kann.
Bevor der Kipptisch in eine aufrechte Position gebracht wurde, sicherte der Physiotherapeut die 3 vorhandenen Gurte (einen Brustgurt, sowie zwei Beingurte) und entfernte sich von dem Patienten.
Nachdem der Mandant anschließend in die Standposition gebracht wurde, öffnete sich völlig unvorhersehbar der Brustgurt.
Infolgedessen kippte der Mandant mit seinem kompletten Körpergewicht zur Seite. Die Beingurte bleiben weiterhin fixiert, weshalb er sich sowohl im Bereich des Unter- als auch Oberschenkels stark verdrehte.
Folgen der unzureichenden Sicherung
Durch das Nachvornekippen trotz Beinfixierung kam es zu 4 Torsionsfrakturen, woraufhin der Geschädigte stationär aufgenommen werden und die Brüche im Rahmen einer mehrstündigen Operation versorgt werden mussten.
Die Behandlung war komplikationsbehaftet und es kam zu einem massiven Hb-Abfall.
Gut zu wissen: Der Hb-Wert gibt die Menge an Hämoglobin im Blut an. Je niedriger der Hämoglobingehalt, desto ausgeprägter ist der Blutmangel.
Aufgrund dessen wurde dem Mandanten ein Erythrozytenkonzentrat, also ein Blutprodukte, das man zur Transfusion verwendet und aus Vollblut gewonnen wird, verabreicht.
Aktuelle Folgen der Beinbrüche
Der Mandant ist noch heute durch den Vorfall beeinträchtigt.
- Neben der anhaltenden Taubheit in sowohl Beinen als auch Füßen, treten extreme Schmerzen regelmäßig, aber vor allem bei Wetterumschüben, auf. Dies macht den Alltag extrem anstrengend und belastend.
- Der Mandant trägt nun viele und vor allem große Narben, die für seine Mitmenschen gut sichtbar sind, auf der Haut. Durch die Narben empfindet er es als sehr unangenehm kurze Hosen zu tragen, da er ständig angestarrt wird.
- Durch Nachfragen, woher die Narben kommen, wird er regelmäßig an den Vorfall erinnert und hat nie die Chance richtig damit abzuschließen.
- Der Geschädigte muss darüber hinaus eine weitere Operation über sich ergehen lassen, in welcher die Metallentfernung stattfinden wird. Jede Operation ist für sich gesehen ein Risiko. Der Mandant muss sich demnach aufgrund des Vorfalls einem weiteren „unnötigen“ Risiko aussetzen.
Neben die physischen Schmerzen treten die psychischen Beeinträchtigungen, denen der Mandant ausgesetzt ist.
- Er hat regelmäßig Albträume von dem Unfall, die so schlimm werden, dass er aus dem Schlaf gerissen wird. Er kann nur in sehr seltenen Fällen wieder einschlafen, liegt aber meist die restliche Nacht wach und beunruhigt im Bett. Durch die zahlreichen schlaflosen Nächte ist er tagsüber müde und unausgeschlafen.
- Vor seinen Besuchen bei der Physiotherapie hat er oft große Angst und würde sie am liebsten meiden. Da aber gerade jetzt nach dem geschilderten Vorfall vermehrt behandelt werden muss, wird der Mandant immer häufiger seinen Ängsten ausgesetzt.
- Er hat große Angst vor dem Kipptisch und fühlt sich extrem unwohl.
Behandlungsfehler, die zu den Beinbrüchen geführt haben
Im vorliegenden Fall begingen die behandelnden Physiotherapeuten mehrere Behandlungsfehler.
Der Unfall und die damit verbundenen Folgen waren völlig vermeidbar, hätten die Therapeuten mit der erforderlichen Sorgfalt gehandelt. Derart gravierende Sorgfaltspflichtverstöße, die zu Knochenbrüchen an beiden Beinen geführt haben, müssen ein Schmerzensgeld nach sich ziehen. Was ist den Physiotherapeuten konkret vorzuwerfen?
Anlegen des Brustgurtes
Der behandelnde Therapeut hätte den Brustgurt sachgerecht anlegen und sich darüber hinaus vergewissern müssen, dass dieser auch ordnungsgemäß geschlossen ist. Denn den hier behandelnden Therapeuten war bekannt, dass der Patient weder eigenständig sitzen noch stehen kann. Gerade deshalb war es so wichtig, dass der Mandant sachgerecht an den Kipptisch fixiert wird.
Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb keiner der Therapeuten die Sicherung nicht überprüft hat.
Räumliche Distanz
Darüber hinaus befand sich keiner der behandelnden Therapeuten in der Nähe zu dem Mandanten. Vielmehr sind diese an das andere eEnde der Halle gegangen und haben sich unterhalten. Es bestand also nie die Möglichkeit, den Mandanten aufzufangen, sodass Folgen, wie oben beschrieben, verhindert hätten werden können.
Den Therapeuten war ebenfalls bekannt, dass der Mandant an Epilepsie leidet und es zu unvorhersehbaren Anfällen kommen könnte. Warum sie gerade in Kenntnis dieser Tatsache nicht stets am Patienten waren, ist unbegreiflich.
Zumindest einer der Therapeuten hätte sich während der ganzen Behandlung in unmittelbarer Nähe zum Patienten aufhalten müssen.
Unterlassene Benachrichtigung eines Arztes
Außerdem ist den Therapeuten vorzuwerfen, dass sie es unterlassen haben, nach dem Unfall unverzüglich einen Arzt zu rufen.
Der Mandant hat heftig vor Schmerzen geschrien, war in einer Schräglage weiter an seinen Beinen fixiert und ihm wurde schwarz vor Augen. All dies deutet auf schwerere Verletzungen hin, weshalb ein Arzt sofort unseren Mandanten untersuchen hätte müssen.
Dazu kommt, dass auch die Stationsleitung, die den Vorfall als Meldung weitergeleitet bekommen hat, keine ärztliche Untersuchung anordnete.
Es ist völlig unverständlich, warum gerade medizinisch ausgebildetes Personal in einem solchen Notfall keinen Arzt gerufen hat.
Sowohl die Leitung der Einrichtung als auch der Therapeut, hätten hier sofort handeln müssen.
Erst mit einer Verzögerung von mehreren Tagen wurde der Patient ärztlich untersucht und in ein Krankenhaus gebracht, wo die Beinbrüche mittels Röntgen bestätigt und anschließend operativ versorgt worden sind.
Sind 30.000 Euro ein angemessener Ausgleich für vermeidbare Frakturen an beiden Beinen?
Rechtsanwalt Christoph Mühl konnte für den Mandanten ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 Euro erkämpfen.
Zur Bemessung des Schmerzensgeldes kommen Komponenten wie beispielsweise das Alter des Geschädigten und die Schwere der Schäden, sowie vergleichbare Rechtsprechungen in Betracht.
Gut zu wissen: Schmerzensgeld hat im deutschen Rechtssystem zwei Funktionen. Zum einen soll es dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für den Schaden bieten (Ausgleichsfunktion) und zum anderen soll der Schädiger für sein Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden (Genugtuungsfunktion).
Nur unter Berücksichtigung bestimmter Gesichtspunkte kann ein faires und angemessenes Schmerzensgeld bestimmt werden.
Im vorliegenden Fall kann das Schmerzensgeld nicht wegen evtl. Vorerkrankungen geringer ausfallen. Hier gilt der Grundsatz, dass der Schädiger keinen Anspruch darauf hat, so gestellt zu werden, als hätte er einen völlig gesunden Menschen geschädigt.
Erhöhend wirken muss allerdings, dass es sich hier um 4 Frakturen handelt, sowie dass beide Beine gebrochen waren.
Schmerzensgelderhöhend wirkte sich hier aus, dass keine ärztliche Untersuchung veranlasst worden ist. Denn dadurch musste der Geschädigte unnötig lange Schmerzen hinnehmen, bis er schließlich in ein Krankenhaus eingeliefert worden ist, wo die Beinbrüche unmittelbar festgestellt und behandelt worden sind.
Fazit
Betrachtet man all die genannten Punkte und zieht Entscheidungen anderer Gerichte heran, sind 30.000 Euro Schmerzensgeld für zwei gebrochene Beine eine beachtliche Summe.
Was können Sie tun, wenn Sie bei sich oder einem Angehörigen einen Behandlungsfehler vermuten?
Ist es bei Ihnen oder einem Angehörigen zu einem vergleichbaren Schaden gekommen? Haben Sie durch Unachtsamkeit eines Arztes oder Physiotherapeuten Knochenbrüche erlitten? Damit auch Sie für Verhandlungen mit der Haftpflichtversicherung des Arztes oder eines Physiotherapeuten gut aufgestellt sind, ist es wichtig, einen Experten an Ihrer Seite zu haben. Die Kanzlei für Medizinrecht in Mainz hat sich ausschließlich auf Arzthaftung spezialisiert und vertritt erfolgreich PatientInnen aus der Metropolregion Mainz, Wiesbaden, Frankfurt am Main und dem Rhein-Neckar-Gebiet bei ärztlichen Behandlungsfehlern.
Mit seiner langjährigen Erfahrung und Kompetenz erzielt Fachanwalt für Medizinrecht Christoph Mühl für seine Mandanten angemessene und faire Entschädigungen, und verhilft Opfern von Behandlungsfehlern auch in höchstkomplexen Sachverhalten zur Gerechtigkeit.