Das umstrittene Medikament Cytotec und seine Folgen.

Erfahren Sie mehr zu Schadenersatz bei Anwendung von Cytotec.

Im Februar 2020 und in den Folgemonaten berichteten gleich mehrere seriöse Berichterstatter (u. a. der BR, Süddeutsche Zeitung, Tagesschau) über unbekannte und gravierende Nebenwirkungen bei der Anwendung von Cytotec zur Geburtseinleitung. Nachdem zahlreiche Familien Verdachtsfälle beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) eingereicht haben, fiel im Juli 2020 die Entscheidung vor dem Landgericht Berlin (LG Berlin, Az.: 6 O 425/12, Urteil vom 02.07.2020). Betroffene erhalten Schmerzensgeld.

Der Patient erhält 300.000 Euro Schmerzensgeld

Was ist geschehen? Vor der verfrühten Geburt hatten die Klinikärzte die Mutter des Geschädigten mangelhaft aufgeklärt. Aufgrund der Anwendung des Medikaments Cytotec kam es zu schwerwiegenden körperlichen und geistigen Einschränkungen für den Rest seines Lebens.

Was ist Cytotec?

Das Medikament Cytotec mit dem Wirkstoff Misoprostol ist eigentlich zur Vorbeugung und Behandlung von medikamentenbedingten Magenschleimhautschädigungen bestimmt. Außerdem wird es zur Behandlung von akuten Zwölffingerdarmgeschwüren eingesetzt.

Ein weiterer Einsatzbereich des Präparats ist die Geburtenhilfe, obwohl es hierzu keine offizielle Zulassung in Deutschland gibt. Über viele Jahre hinweg wurde das Produkt in unzähligen Kliniken in Deutschland in einer sog. „Off-Label-Nutzung“ zur Geburtseinleitung verwendet. Off-Label bedeutet: außerhalb des eigentlichen Einsatzzweckes. Dies geschah, ungeachtet dessen, dass die Folgen einer solchen Produktanwendung medizinisch nicht einzuschätzen waren. Zudem hat das BfArM mehrmals über mögliche schwerwiegende Nebenwirkungen des Produkts und des Wirkstoffs Misoprostol gewarnt (sog. „Rote-Hand-Briefe“ des BfArM in den Jahren 2017, 2020).

Zur Entscheidung des Landgerichts Berlin:

Fehlende Aufklärung

Der Patient rügte die Aufklärung durch die Beklagten (Träger, Ärztinnen/ Ärzte und Hebamme). Denn seine Mutter wurde weder am ersten Gesprächstermin noch am Tag der Geburt zwei Monate später über das Medikament Cytotec aufgeklärt. Ihr wurden die allgemeinen und besonderen Risiken, vor allem im Rahmen der Geburtseinleitung und bestehende Behandlungsalternativen nicht genannt. Dass es sich um das Medikament Cytotec und damit um ein Magenschutzmittel handelt, wurde der Mutter erst nach der Anwendung mitgeteilt.

Die Mutter des geschädigten Kindes hätte sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Risiken von Cytotec zunächst über das Medikament selbst informiert; sie hätte sich dann unter Inkaufnahme der Risiken für einen Kaiserschnitt entschieden. Das Landgericht Berlin gab ihr in der Entscheidung recht. Denn die beweispflichtigen Beklagten konnten den Beweis nicht erbringen, dass sie eine ordnungsgemäße Grundaufklärung durchgeführt haben. Hierzu zählen insbesondere die allgemeine Vorstellung über die Art der Belastung und die schwere des Eingriffs; außerdem müssen die spezifischen Risiken im Rahmen einer Geburtseinleitung unter Einnahme von Cytotec mitgeteilt werden.

Gefahren für Mutter und Kind

Neben den Gefahren des Gebärmutterrisses oder der des Wehensturms, die für die Mutter des Kindes selbst bestehen, kann es zu erheblichen Schädigungen des Ungeborenen kommen. Dazu zählt bspw. eine Plazentaablösung (Reduzierung der Sauerstoff- und Nährstoffversorgung des Fötus). Die vorzeitige Plazentaablösung führte bei dem geschädigten Kind zu einem Gehirnschaden, wodurch es globale Entwicklungsstörungen und geistige Entwicklungsverzögerungen davontrug.

Zudem kam es in der Folgezeit zur Muskelhypotonie (gestörte Mundmotorik), einer Gangstörung, Ataxie (Bewegungsstörung), Hüftluxation (Hüftverrenkung) und zu einer Dysphagie (Schluckstörung). Obwohl der Sachverständige die Unterversorgung des Fötus mit Sauerstoff als keine typische Folge von Cytotec angesehen hat, erkennt das Gericht den entscheidenden Umstand an, dass sich die Mutter des Klägers infolge einer ordnungsgemäßen Risikoaufklärung des umstrittenen Medikaments gegen dessen Einnahme und für einen Kaiserschnitt entschieden hätte. Dies hätte dem Sachverständigen zufolge zu keiner Plazentaablösung und damit auch nicht zu den schwerwiegenden körperlichen und geistigen Einschränkungen des Kindes geführt.

Hypothetische Einwilligung

Den Einwand der hypothetischen Einwilligung der Beklagten lehnte das Gericht entschieden ab. Die Begründung: gerade die ordnungsgemäße und vollständige Aufklärung ist die Voraussetzung für eine hypothetische Einwilligung.

Ergebnis: Das Landgericht Berlin verurteilte die Beklagten, an das geschädigte Kind Schmerzensgeld in Höhe von 300.000 Euro zu bezahlen.

Fazit:

Den Behandelnden trifft die Beweislast im Rahmen der Selbstbestimmungsaufklärung. Kann die Arztseite ihrer Beweispflicht nicht nachkommen, befindet sie sich in der Schuld und haftet dem Patienten auf Schadenersatz.

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